Wittorfer Ausgrabung stößt auf immer mehr Interesse

 

Wittorf. Die Ausgrabungen in Wittorf stoßen auf immer größeres Interesse in der Fachwelt. Aktuellster Fund sind Urnen, die in auffällig großer Entfernung zum bisher nachgewiesenen Gräberfeld entdeckt wurden. „Möglicherweise hat sich hier eine Personengruppe bewusst abgesetzt“, vermutet Kreisarchäologe Dr. Stefan Hesse.

Seit 1991 finden am Rande der Wittorfer Sandgrube Notgrabungen statt, nachdem Schülerinnen dort zwei Urnen gefunden hatten. Fast 200 weitere Bestattungen konnten festgestellt werden. Weil man meinte, den Friedhof vollständig ausgegraben zu haben, wertet Dr. Hesse die neuen Urnenfunde als echte Überraschung.

Für Aufsehen sorgte auch die Entdeckung einer eisenzeitlichen Befestigung aus dem 5. Jahrhundert vor Christus, da derartige Anlagen bislang nicht nördlich der Mittelgebirgszone vermutet wurden. Inzwischen konnte der größte Teil der Befestigung ausgegraben werden. Ungeklärt ist bislang, welche Funktion die Anlage besaß: War sie reiner Verteidigungsbau, Herrschaftszentrum oder Kultanlage?

Auch die benachbarte sächsische Siedlung des 8. Jahrhunderts wirft noch viele Fragen auf. Denkbar ist zum Beispiel, dass sie befestigt werde, um Schutz während der Sachsenkriege (772 bis 804) von Karl dem Großen zu bieten.

Obwohl die Kreisarchäologie noch mitten in der Aufarbeitungsphase steckt, treffen die ersten Ergebnisse auf großes Interesse. Über die Ausgrabungen in Wittorf erschienen bereits mehrere Artikel in populärwissenschaftlichen Zeitschriften. In einem renommierten Archäologielexikon soll es demnächst sogar ein eigenes Stichwort Wittorf geben.

Rotenburger Rundschau

 

 

 

Wittorf - Von Wieland Bonath. Leichter Nebel liegt über dem Land, Krähen rufen im Hintergrund. Eine Herbstkulisse, die zum Thema nicht besser passen könnte: Am Rande von Wittorf sind Archäologen dabei, eine der wichtigsten Ausgrabungen im Landkreis Rotenburg fortzusetzen. Hier, wo sonst eine Firma Sandabbau betreibt, werden wahre Schätze der Vergangenheit aus dem Boden gehoben. Eine Fülle an Resten menschlicher Geschichte, die bis in die Eisenzeit zurück reicht.

 

In diesem Jahr ging die Grabung Wittorf, bei der über die Jahre hinweg die Ursprünge des heutigen Dorfes Schritt für Schritt freigelegt wurden, in die vorerst letzte Runde. Beauftragt ist damit der Archäologe Jan Bock aus Buchholz in der Nordheide. Die Fachaufsicht hat die Rotenburger Kreisarchäologie mit ihrem Chef, Stefan Hesse. „Dies ist eine sehr spannende Ausgrabung, weil gerade in dem erweiterten Bereich Strukturen auftauchen, die wir trotz der langjährigen Forschung nicht vermutet hätten“, sagt er.

 

Begonnen haben die Ausgrabungen bei Wittorf im Jahr 1990: Bei einem Spaziergang haben zunächst zwei Schülerinnen im Sand zahlreiche Keramikscherben uralter Urnen entdeckt und damit der Altertumsforschung ein besonderes Geschenk gemacht. Hesses Vorgänger, Wolf-Dieter Tempel, leitete sofort eine Notgrabung ein. Bis 2008 wurden von den Archäologen eine Vielzahl wichtiger Funde gemacht.

 

Es ist ein leicht welliges Gebiet, das vor dem Sandabbau den Menschen einen weiten Blick in das Land ermöglichte. Eine Gesamtfläche von rund 60000 Quadratmetern, auf denen viele Tausend Jahre Geschichte liegen. Freigelegt wurden bisher beispielsweise ein großer Urnenfriedhof aus der Bronze- und Eisenzeit. Außerdem eine eisenzeitliche Befestigung – datiert auf die Jahre 500 bis 400 vor Christus, die nördlichste Wehranlage dieser Epoche in Niedersachsen. Dazu das zeitgleiche Gräberfeld sowie eine sächsische Siedlung aus dem Frühmittelalter. Die Funde haben teil-weise eine überregionale Bedeutung, insbesondere die Reste der Befestigungsanlagen.

 

Jetzt, bei der Erweiterung der Ausgrabung Wittorf, wurden auf einer Fläche von zirka 10000 Quadratmetern erneut einige Dutzend Bestattungsstellen freigelegt mit zahlreichen Urnen und Körpergräbern.

 

Jan Bock, zu dessen Team auch die Ausgrabungstechniker Burkhard Brunotte und Jörn Kludas gehören, deutet auf eine Besonderheit hin: „Hier haben wir ein Beispiel, wo eine Pfostengrube, vermutlich eines Hauses, genau auf die Stelle eines älteren Urnengrabes gesetzt wurde.“ Bock präsentiert weitere Entdeckungen: „Unter dieser Grube ist noch die untere Hälfte der Urne erhalten, in der sich aber noch menschlicher Leichenbrand und Asche befinden.“

 

Mit leicht klammen Fingern überträgt Brunotte mit feinen Stiften maßstabgenau die Fundstücke auf das Zeichenpapier – alles Teile der Aufarbeitung der Ausgrabung Wittorf in der Rotenburger Kreisarchäologie.

 

Sein Kollege Jörn Kludas hat sein Werkzeug beiseite gelegt und umfasst eine völlig erhaltene Urne – ein weiterer Fund, der seinen Platz im Magazin erhält. Dort befinden sich mittlerweile fast 300 Urnen aus gebranntem Ton, die der Ausgrabungsstelle in Wittorf entnommen wurden. Einige sind vollständig erhalten, von anderen wurden unzählige Bruchstücke gesammelt.

 

Nach den Ausgrabungen wartet die Zeit der Auswertung und Aufarbeitung. Dazu gehört eine vom Kreisarchäologen Hesse geplante wissenschaftliche Arbeit über die Fundstelle. Außerdem gehören Informationen für die oft stark interessierte Öffentlichkeit dazu. Besonders die Wittorfer möchten die Zeugnisse „ihrer“ Vergangenheit sehen. Zu einem speziellen Vortrag waren nicht nur zahlreiche Einwohner gekommen, sondern auch die beiden Frauen, die als Schülerinnen, die die ersten Fundstücke damals entdeckt haben.

 

Wenn die Archäologen ihre Geräte eingepackt und die – vorerst – letzte Runde auf der Ausgrabung Wittorf abgeschlossen haben, wird weiter gegraben. Das sind dann allerdings die Bagger, die den Sandabbau weiter fortführen.